Archiv 2012

WOUTER HAMEL

Album: Lohengrin
VÖ: 17.02.2012
TV: 22.02.2012 – ZDF Morgenmagazin

In Schlangenlinien...
“Old-fashioned!”, lacht Hamel. “Altmodisch - ich glaube, so könnte man meine Art zu singen beschreiben.” Eine ungewöhnliche Aussage für jemanden, der so frisch klingt und unangepasst daherkommt wie der holländische Shootingstar. Aber in gewisser Weise hat Wouter Hamel Recht: Seine die Ohren verblüffende, technisch brillante Stimme hätte wohl in jedem musikalischen Jahrzehnt Gehör gefunden. Und so eloquent, wie er singt, erscheint er auch persönlich: welt- und wortgewandt und nahbar zugleich. Eigentlich ist es leicht, Hamel zu beschreiben. Sehr leicht sogar - nur artet jede Beschreibung schnell zur Huldigung aus: Hamel strahlt, auf angenehmste Weise, als Person und als Musiker.

Sehr viel schwerer fällt es dagegen einzuordnen, was Hamel tut. ‚Singer/Songwriter‘ - dieser Begriff passt auf seine Art und Weise, mit Musik umzugehen, auf Hamels Musik selbst passt er weniger. “Meine Idole waren schon immer eher Komponisten als Sänger”, sagt er von sich, und schlägt dann einen großen stilistischen Bogen: “Ob Gershwin, Cole Porter oder Rufus Wainwright - ein guter Song ist ein guter Song, egal, ob er 1920 oder 2011 geschrieben wurde. Hauptsache, die Melodie packt mich.” Und so führen auch Hamels eigene Melodien auf aberwitzigen Routen durch schräg-verspielte, an Elvis Costello erinnernde Gefilde, über hymnenhafte Anklänge an Billy Joel bis hin zu elegantem Soul, gesungen mit der Leichtigkeit eines Frank Sinatra. Manchmal alles auf einmal, innerhalb eines einzigen Songs, als wäre es das Natürlichste der Welt. Doch was mit spielender Leichtigkeit in der Stimme daherkommt, verbirgt oft weniger leichte Inhalte: melancholische Erinnerungen an Verlorenes oder verloren Geglaubtes, an vergebene Chancen und vermeintlich bessere Zeiten. “Ich neige dazu, Vergangenem nachzuhängen, es zu idealisieren - aber diese Note
gibt meiner Musik auch Reibung: Ich mag es, hell zu klingen, während ich Dunkles erzähle.”

Hamel ist mit seiner Musik ein Erfolg geglückt, und die dazugehörige Geschichte ist eine der interessanten der letzten Jahre, zumal eine der ungewöhnlicheren. Nicht nur, weil er sich intuitiv dem Trend widersetzt hat, dem Diktat des globalen Mainstream zu folgen; dass Erfolg abseits der Airplay-Charts möglich ist, beweisen schließlich in steter Regelmäßigkeit auch Musiker wie Jamie Cullum oder zuletzt das französische Fräuleinwunder Zaz. Und Hamel eben: Seine ersten zwei Alben erreichten Spitzenpositionen in Holland und wurden mit Edelmetall ausgezeichnet, in seinem Heimatland ist er ein Star - genauso wie in Fernost. Auf Tournee in Japan spielt Hamel allein in Tokyo zwei Shows am Tag, vier Tage am Stück, in Südkorea füllt er Hallen mit 5000 Besuchern, Taiwan und Thailand gehören mittlerweile ebenfalls zum Einzugsgebiet. “Es ist verrückt: Dort werden uns Bodyguards gestellt, damit wir beim Stadtbummel halbwegs vorankommen - und direkt vor unserer Haustür, in Belgien, kennt uns kein Mensch”, erzählt Hamel ungläubig. Macht nichts. Die Terra Incognita zwischen Holland und Hanoi erschließt er sich, wie auch seine Musik, in Schlangenlinien. Windung für Windung. Und hinterlässt dabei seine sehr eigene Spur mit unübersehbaren Marksteinen. Der nächste ist sein brandneues Album “Lohengrin”, das am 17. Februar 2012 weltweit bei Decca/Universal erscheint.


...aber immer geradeaus.
Reißbrettplanung ist etwas anderes, und trotzdem ist Hamels Weg konsequent. Er trifft die Entscheidungen selbst. Ob Kleinigkeiten wie Klamottenwahl und Styling für Fotoshootings oder Elementares wie die Produktion seiner Songs und Alben, für die er verantwortlich zeichnet. Alles Weitere ergibt sich daraus. So war das schon immer.

In Hamels Elternhaus spielte Musik nur eine untergeordnete Rolle. Das Vierspur-Aufnahmegerät, mit dem der Filius erste musikalische Experimente machte, hatte sein Vater ursprünglich für reine Sprachaufnahmen erworben. Konkreter wurde es in der Schule: “Ich war der typische Künstler”, erzählt Hamel mit einem Augenzwinkern: “so schlecht in Sport, dass ich mir ein anderes Betätigungsfeld suchen musste, auf dem ich glänzen konnte.” Etwas Kreatives - Schülerzeitung, Theater, Musical. Schließlich stand er, kurzentschlossen, bei einer Schulaufführung ganz allein mit seiner Gitarre auf der Bühne und sang “Hallelujah” von Jeff Buckley. Eine Herkulesaufgabe von einem Song. Und ein Schlüsselerlebnis: “Ich stand vor all den Leuten und war überrascht, wie sehr ich es mochte. Alles fiel plötzlich von mir ab, das furchtbare Lampenfieber, die Unsicherheit, ob ich dieses lange Stück hinbekommen würde. Es war wie nach Hause kommen. Als schließlich alle applaudierten, dachte ich: So müssen sich Fußballer fühlen, wenn sie treffen - ich traf ja nie.”

So sicher in dem Wissen, mit Musik auf dem richtigen Weg zu sein, so unsicher war Hamel in dem Gefühl, wie dieser Weg beschritten werden sollte. “Man hatte mich gewarnt: Sie würden mich, meine Stimme und meine Musik verändern, ginge ich ans Konservatorium - und das klang bedrohlich.” Also entschied Hamel sich für den Zwischenweg, ein Studium der Journalistik, vorerst. Nach nur einem Jahr fand er sich dann doch in der Bewerberschar für das Konservatorium in Utrecht wieder, als einer von 120 Aspiranten auf nur vier Plätze. Er wurde angenommen - und die Bedenkenträger, sie behielten Recht: “Die Dozenten wollten mich verändern, und sie haben mich verändert. Aber es war das Gegenteil von bedrohlich - lernen bedeutet eben auch Veränderung. Und das Studium war einfach ein großes Geschenk: Ich durfte mich fünf Jahre lang ausschließlich mit Musik beschäftigen.”
Ganze sieben weitere Jahre dauerte es anschließend, bis Hamel sich anschickte, seinen ersten eigenen Song zu schreiben. “Ich musste mich erst lösen von den ganzen perfekten, erdrückend großen Jazz-Standards, von der gelernten Technik, von meinen zu hohen Ansprüchen an mich und das, was ich machen wollte. Ich war sehr, sehr lange sehr, sehr unsicher. Aber das hatte auch etwas Gutes: Als es dann ‘klick’ machte und ich zu schreiben begann, hatte ich genug Lebenserfahrung gesammelt, um wirklich etwas erzählen zu können.”

Mit seinem ersten, schlicht “Hamel” betitelten Album begann die unerwartete und ungeplante Erfolgsgeschichte. Und brachte neue Herausforderungen mit sich: “Man lernt, ein Sänger, ein Musiker zu sein - aber nicht ein Prominenter. Plötzlich hat jeder eine Meinung zu Dir, und nicht jedem gefällt, was Du tust. Ich brauchte eine Weile, um für mich die richtige Balance zu finden, das Drumherum nicht zu wichtig zu nehmen. Ich habe mich dafür entschieden, ganz bei mir zu bleiben – Musiker zu sein, nicht VIP.”

Nach den Erfolgen mit dem Debüt-Album und dessen Nachfolger “Nobody’s Tune” zog Hamel sich für eine Weile zurück. Er schrieb, mietete sich in Paris ein Appartment mit Flügel und sog das Leben und die Inspiration der Stadt in sich auf. Für die harte Arbeit des Fertigstellens der Songs wählte er das Gegenteil und bezog eine Scheune auf dem elterlichen Bauernhof - ohne Internet, ohne Fernsehen. “Sonst hätte ich das Album nicht fertig bekommen. Ich bin Perfektionist, ich will das ultimative Ergebnis, aber es gibt nur wenige Momente, in denen ich ohne Zweifel bin. Daher sind Abgabetermine für mich immer eine große Herausforderung. Ich liebe Arbeit, meine Arbeit - aber vor allem liebe ich das Gefühl, wenn sie abgeschlossen ist.”

Nun liegt Lohengrin vor, und der ungewöhnliche Titel ist in seiner Konsequenz und Zweideutigkeit typisch Hamel. “Eigentlich ist es banal: Lohengrin ist der Name jener Straße in Den Haag, in der ich aufwuchs, ich trug diesen Namen also immer schon mit mir herum. Aber auch die mythische Figur ist für mich mittlerweile zu einem Symbol geworden. Ich singe ‘don’t blink your eyes, I’ll disappear’ - in diesem Song und auf dem gesamten Album dreht sich alles um Neuanfang, darum, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, sich aus seiner alten Hülle zu schälen und von vorn zu beginnen.”

Kein völliger Neuanfang ist für Hamel die Veröffentlichung seines Albums im Nachbarland. “Nobody’s Tune” erschien 2009 in Deutschland, begleitet von positiven bis stürmischen Rezensionen in der Presse. 2010 folgte eine erste Live-Stippvisite mit seiner famosen Band, die beste Eindrücke hinterließ: “Gutes Catering, hervorragende Technik, gute Konzerte - und gute Parties danach”, lacht Hamel. “Aber das, was uns allen am meisten verwundert hat: Die Deutschen hören wirklich zu! In Holland muss man selbst als etablierter Künstler in jedem Konzert um die Aufmerksamkeit des Publikums kämpfen. In Deutschland waren alle Augen und Ohren auf die Bühne gerichtet.” Das wird wieder so sein. Ab April stehen mindestens zehn Städte auf dem Plan. In einem Rutsch, geradeaus.

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