Archiv 2011

DELLA MILES

Titel: Simple Days
VÖ: 08.10.2010
Artist: Della Miles
Medium: CD digital
Label: Kunstflug
Distribution: Warner

"Ich bewundere Künstler, die den Song in den Vordergrund stellen und nicht sich selbst."

Immer wenn es um einen Song geht, den man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, stehen die Chancen nicht schlecht, dass man dabei ebenso sehr an den Interpreten denkt wie an den Song selber. Sicherlich -es gibt die Melodie, das Arrangement, die Texte und die Stimme, aber all das kann nicht dieses spezielle Gefühl erzeugen, ein Song richte sich nur an einen selber. Dazu braucht es eine Stimme, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Eine Stimme bedeutet mehr als man in Tönen und Noten ausdrücken kann. Selbst in unserem technologisch fortschrittlichen Zeitalter (und hier möglicherweise sogar besonders) gibt es keinen Ersatz für die Stimme eines Künstlers und ihre Fähigkeit ein Publikum aus lauter Fremden zu begeistern. Womit wir bei Della Miles wären.

Della Miles ist Interpretin und Songwriterin. Aber zuallererst ist sie eine Sängerin. Eine Sängerin, die ohne weiteres für den persönlichen Soundtrack von 2010 und darüber hinaus sorgen könnte.

"Ich bin über meine Eltern zur Musik gekommen", sagt Della Miles. "Meine Mutter war Pianistin und Chorleiterin, und das bedeutete, dass ich praktisch in der Kirche aufgewachsen bin. Chorproben, Bibelstunde oder Gemeindetreffen -ich war jeden Tag da. Und bei der Gelegenheit habe ich gemerkt, dass ich selber ganz gut singen kann."

Miles stammt aus Houston in Texas und wurde in eine ausgesprochen musikalische Familie hineingeboren. Ihr Vater, selber ein virtuoser Jazzpianist, machte sie schon früh mit den Werken von Miles Davis und Ella Fitzgerald vertraut -ein Kanon aus Klassikern, dem die junge Della schon bald eigene Idole hinzufügte: "Als ich ein kleines Mädchen war, war Michael Jackson gerade auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Ich ging tatsächlich davon aus, dass ich eines Tages Mrs. Jackson sein würde. Und auch heute noch, wenn ich mir diese Platten anhöre... er war brillant!"

Della Miles trat bereits während der High School in diversen Clubs in Houston und Umgebung auf, und ein halbherziges Studium des Strafrechts brachte sie schließlich zu der Überzeugung, dass Musik ihre eigentliche Bestimmung sein sollte. "Es war schon immer mein Traum meine eigenen Songs aufzunehmen und live zu spielen", sagt Della. "Das bedeutete mir schon damals mehr als alles andere. Also hat mich mein Instinkt nach Los Angeles geführt, in die Clubs und zu den Vorspielterminen. Nach der Show wartet man einfach ein bisschen auf die Leute, die dir ihre Telefonnummer geben. Und so kam es dann auch."

Miles konnte sich ihre Engagements aussuchen und entschied sich für eine Verpflichtung als Whitney Houstons Background-Sängerin -"mein großes Training", wie sie heute sagt.

Bei einer Präsentation von Mercedes Benz, erregte sie die Aufmerksamkeit von Marius Müller-Westernhagen, der sie vom Zimmer nebenan aus singen hörte und sofort von ihrer außergewöhnlichen Stimme begeistert war. Die beiden Künstler wurden einander vorgestellt und verstanden sich auf der Stelle blind. Doch bevor es zu einer Zusammenarbeit kommen konnte, war Miles schon wieder auf dem Weg nach Amerika, mit neuen Songs im Gepäck. Eigenen Songs.

Wenig später dann der Überraschungsanruf. Marius Müller-Westernhagen wollte Della Miles bei seiner anstehenden Tournee auf der Bühne haben - offiziell als Background-Sängerin, aber schon bald als vollwertigen Teil seiner Show. Zum Ende jedes Konzertes führte der Rockstar die Newcomerin den Laufsteg entlang, um sie seinem Publikum mit einer Solo-Darbietung vorzustellen. "Ich habe am ganzen Körper gezittert," erinnert sich Della, "aber gleichzeitig war es toll. Es war als ob man einen Vogel freilässt. Und es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, mit so einem Riesenpublikum zurechtzukommen."

Für Westernhagen kam der Erfolg des musikalischen Naturtalents nicht überraschend, und als erfahrener Musikerkollege erkannte er auch Dellas songwriterische Qualitäten sofort. Im Anschluss an die Tournee nahm er sie deshalb für sein Kunstflug-Label unter Vertrag und erbot sich gleich, die neuen Songs für Dellas Album zu produzieren. Westernhagens Gespür für die richtige Atmosphäre ließ der Sängerin dabei endlich genug Freiraum zur künstlerischen Entfaltung und macht "Simple Days" nach den kommerziellen Beschränkungen ihrer ersten Arbeiten zu einer musikalischen Unabhängigkeitserklärung, deren Konsequenz gleich mehrfach beeindruckt. "In vielerlei Hinsicht fühlt sich dieses Album für mich wie eine Befreiung an, wie mein eigentliches Debüt. Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, eine neue Emotion. Und allen meiner Songs liegen solche Erfahrungen zugrunde."

Tatsächlich ist "Simple Days" das sehr selbstbewusste Statement einer sehr selbstbewussten Frau, eine persönliche Bestandsaufnahme, der vier Jahre intensive Auseinandersetzung zugrunde liegen. Reif und verspielt zugleich, verrät das Album eine intime Kenntnis musikalischen Ausdrucks über alle Genre-Grenzen hinweg. Singer-Songwriter, Jazz, Soul und R'n'B -Della Miles bewegt sich durch die verschiedenen Musikstile mit der Intuition einer Könnerin, deren etablierte Professionalität nie einer gefühlvollen Performance im Wege steht. Gleichzeitig ist "Simple Days" ein entwaffnend persönliches Album geworden, das Della Miles als vollendete Songwriterin ausweist, deren opulente musikalische Palette ihre Entsprechung in den vielschichtigen Texten findet.

Angefangen beim federleichten "Speak Up" über den entfesselten Swing von "Simple Days" bis hin zum behutsamen "Heaven" -Miles ist in der Lage, noch die unterschiedlichsten Songs mit individuellem Flair und eigener Persönlichkeit auszustatten. Es gibt die ruhige (oder auch nicht ganz so ruhige) Liebesballade "In My Dreams", die stimmungsvolle Up-Beat-Nummer "Where is the U" und das hauchzarte John Lennon-Cover "Love". Gemeinsam ist ihnen allen das Gespür für den richtigen Moment, die richtige Nuance oder den richtigen Stil.

"Die einfachen Songs sind die besten", sagt Della Miles. "Klarheit liegt mir sehr am Herzen und Charme auch. Und ich glaube, Liebeslieder erleben gerade ein Comeback. Es ist genau der richtige Zeitpunkt im Moment, denn es gibt keine Liebeslieder mehr im Radio, und wir vermissen sie."

Vielleicht vermissen die Leute auch die Authentizität, traditionell das flüchtigste Versprechen der Musikindustrie. Die Fähigkeit ein Publikum aus lauter Fremden zu begeistern. Die Fähigkeit zu singen, einfach weil man sich danach fühlt. Und die Fähigkeit einen Song zu einem Tagebucheintrag von jemand anderem zu machen. Mit anderen Worten: das gewisse Etwas.

Della Miles hat es. Davon kann man sich auf "Simple Days" überzeugen, einem Album, das modern ist, ohne seine Traditionen zu verleugnen. Mit Songs, die stilistisch bunt sind, und doch unverkennbar mit einer Stimme sprechen.

Wie sagt Della Miles: "Sich selbst treu sein - im Endeffekt ist das wichtiger als jedes Image. Ich bewundere Künstler, die den Song in den Vordergrund stellen und nicht sich selbst."

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